Bildquelle: La Redoute via Big Beauty |
Laut Pressemitteilung Nr. 194 vom 02.06.2010 des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2009 rund 43% der in Deutschland lebenden Frauen übergewichtig, Tendenz steigend. Eigentlich sollte man denken, dass sich daraus ein gesteigertes Angebot aufgrund offenkundigen Bedürfnisses für Mode jenseits von Größe 44 ergibt. Eigentlich.
Mode für Mollige, Big is Beautiful, Trends für Starke Frauen, Fesch und Pfundig, Fashion für Frauen mit Format. Das sind die gängigen Schlagwörter, mit denen hierzulande Damenbekleidung in sogenannten Übergrößen beworben wird. Das klingt eher schön gewollt als gekonnt. Es klingt nicht nur so. Die bekannten Kleiderketten mit den zwei Buchstaben führen zwar bereits seit einiger Zeit eigene Linien in großen Größen und auch in vielen Kaufhäusern und Onlineshops scheint ein Trend zum verbreiterten Größenangebot angezeigt. Allerdings bedeutet das nicht, dass es für dicke Frauen deshalb einfach ist, sich modern und typgerecht zu kleiden. Häufig erinnern die Schnitte mehr an Campingausrüstung als an Bekleidung, Verhüllung statt Formvollendung ist die Devise. Stöbert man in den Geschäften, kann man modischen Chic oder eine akzeptable Auswahl an Basics lange suchen - wenn es so etwas gibt, ist es meistens schnell ausverkauft. Daraus könnte man schließen, dass es einen Markt gibt. Doch anstatt sich den wachsenden Bedürfnissen der deutschen Damen durch ein umfangreicheres Repertoire anzupassen, welches zumindest die Größen von 46 bis 50 standardmäßig umfasst, wird dicken Frauen eine Ecke zugeteilt. Viele Labels gehen noch nicht einmal so weit. Bei junger Mode wird das Angebot über Kleidergröße 42 schlagartig dünn.
Woher kommt dieses Missverhältnis und wieso geben sich so viele Frauen damit zufrieden?
Vor einigen Wochen drängte sich mir diese Frage auf, als ich meinen Kleiderschrank ausgemistet habe. Bisher hatte ich mir nicht zugetraut, dass mir Ausgefallenes stehen könnte und ich musste feststellen, dass ich vieles angehäuft hatte, was in einer Nummer größer sicher kleidsamer gewesen wäre. Meistens hatte ich es dann doch gekauft, weil ich froh war, in die größte erhältliche Größe irgendwie doch hineinzupassen. Aber irgendwie war das nicht so ganz das richtige. Ich machte mich also auf die Suche nach einem deutschsprachigen Blog über Plus Size Mode, weil ich mir Tipps erhoffte, was Frauen wie mir - mit mehr Bauch als Taille - stehen könnte und wo man das herbekommt. Vielleicht hatte ich in den Geschäften einfach nicht genau genug gesucht oder mich nicht getraut, weil ich einfach unsicher war, was zu mir passt. Wie soll man da auch drauf kommen, wenn einem selbst aus Übergrößenkatalogen Frauen mit Kleidergröße 40/42 entgegenlächeln, die dann Plus Size Models genannt werden? Häufig werden diese Damen dann auch noch "glattgebügelt", so dass man lediglich eine breitere Version der üblichen Models vor sich hat. Wenn Frauen zunehmen, wachsen sie nun einmal nicht gleichmäßig in Höhe und Breite, sondern jede hat ihre besonderen Körperteile, die durch mehr Gewicht stärker betont werden. Die Proportionen verschieben sich. Wie soll frau damit umgehen? Damit fühlte ich mich ziemlich alleingelassen. Die Suche nach deutschsprachigen Modeblogs verlief zunächst erfolglos. Dafür fand ich jedoch vor allem in Frankreich, Großbritannien und den USA aufschlußreiche Tipps von Frauen, die sich der Eigenschaften ihres Körpers bewusst sind und gelernt haben, damit umzugehen. Und was noch viel wichtiger ist: diese Frauen leben Mode, sie tragen sie nicht aus Überraschung, dass sie ihnen passt, sondern weil sie zeigen möchten, dass es kein Widerspruch ist Kleidergröße 52 zu tragen und schön und interessant auszusehen.
Genau das ist es aber, was uns hier gern vermittelt wird: Dicke Frauen haben auf der Bildfläche der Mode nichts zu suchen! Allenfalls sind sie eine kuriose Randerscheinung, wie beispielsweise Beth Ditto, die einfach nicht einsieht, wieso sie nicht zu ihrem Körper stehen sollte. Das gilt als ungewöhnlich, das gilt als gewagt.
Dicke Frauen sollen sich lieber in ihr XXL-Eckchen verziehen, Kleidung anprobieren, die nicht speziell für Kurven entworfen sondern schlicht augmentiert wurde, mit der sie dann verschämt zur Kasse ziehen, wo sie hoffen, dass die Kassiererin nicht aufs Größenschild guckt. Sie sollen froh sein, wenn sie etwas finden, was einigermaßen passt, einige "Pfunde wegmogelt" und "Problemzonen kaschiert". Dass eine Frau vom Figurtyp O, also mit großem Busen und Bauch und vergleichsweise schmalen Beinen und Schultern, mit Hosen in "figurschmeichelndem" Schnitt in "schlankmachendem" Schwarz nicht unbedingt die beste Kleiderwahl trifft, weiß niemand und es scheint auch niemanden zu interessieren. Wer dick ist, kann eh nichts mehr retten. Also wird kaschiert und modelliert, was das Zeug hält.
Was bleibt der modebewussten dicken Frau im deutschsprachigen Raum, die sich zumindest einen Hauch von high fashion nicht entgehen lassen möchte? Zunächst einmal sollte sie nicht die Augen davor verschließen, dass auch sie hübsch, adrett und kokett aussehen kann, und dass auch sie das Recht auf eine Mode hat, die zu ihr passt und das unterstreicht, was sie ausmacht, anstatt wegzumogeln, wo es nur geht.
Die französische Bloggerin und Deisgnerin Stéphanie Zwicky formuliert das sehr treffend: " Le style n'est pas une taille mais une attitude. " - Mode ist keine Frage der Größe, sondern der Haltung!
2 comments
Sehr wichtiges Thema, sehr richtige Worte und sehr schön geschrieben!
Junge, dicke Frauen, welche sich entsprechend modern und weiblich kleiden wollen, gehen eben nicht zu den Ketten mit zwei Buchstaben, sondern wenden sich ins Ausland und bestellen sich online einen Wolf ;-)
Eine Frechheit ist es in der Tat, da hast du schon Recht. Aber es ist nun mal Fakt, dass hierzulande nur das in die Verkaufsräume einziehen darf, was irgendjemand zum Mainstreem erklärt hat, ganz gleich, ob es die Realität widerspiegelt oder nicht. Und so verhüllen sich die dicken Damen in Zelte, die hellen Mädchen schminken sich orangefarbene Gesichtsränder auf die Haut, die Frauen quetscht sich in zu enge oder zu kleine Schuhe und zwingen sich in zu weite BHs mit zu kleinen Cups, weil C bereits als "groß" bezeichnet werden darf. Und die, die sich damit nicht abfinden können, protestieren im Stillen, in dem sie sich einen PayPal Account oder eine Kreditkarte zulegen und der heimischen Wirtschaft fernbleiben, was global betrachtet sowieso keinen Unterschied macht, da unter den selben miesen Bedingungen in irgendwelchen Sweatshops am anderen Ende der Welt produziert wird.
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