Im Oktober habe ich angefangen diesen Blogpost zu schreiben. Aber nachdem das Thema kein Ende nehmen wollte und ich an der englischen Ausgangsversion immer noch Verbesserungen vorgenommen habe, verwandelte sich der Text langsam aber sicher in einen meiner längerfristigen Schubladenbewohner.
Nun kann man natürlich die Frage von Beleidigungen und Übergriffen nicht längerfristig ignorieren. Man begegnet dem Thema ständig, wenn man die Zeitung liest, einen Blog, sich mit FreundInnen trifft, wenn man auf die Straße geht – einfach überall.
Meine letzten Berührungspunkte waren der Beitrag You don’t have to put on the red light* (*you’re fair game anyway) von Becky (Busts4Justice) und eine von Bibi angefangene Diskussion bei den Busenfreundinnen über die Kommentare zu einem Spiegel Online-Artikel zur sog. Brüderle-Affaire. Also unternehme ich heute einen neuen Versuch mit dem Thema. (Sorry, es ist furchtbar lang geworden!)
Also, dieser Beitrag nahm seinen Ausgang vor längerer Zeit, als ich über einen Blogpost von Katrin von den Reizende Rundungen (einem Mode-Blog, den ihr hoffentlich schon kennt ;-)) stolperte. Sie beanwortet darin die Frage von einer ihrer Leserinnen, wie man am besten mit Beleidigungen umgeht. Und obwohl Katrin, wie immer, einige sehr tolle und ermutigende Dinge darüber sagt wie man das Gefühl, verletzt und gedemütigt worden zu sein, mit positiver Einstellung begegnen kann, habe ich doch das Gefühl, daß mir ein paar Punkte fehlen. Nachdem mich die Sache einige Tage nicht losließ, habe ich beschlossen einen eigenen Post dazu zu verfassen.
Im folgenden Beitrag konzentriere ich mich vor allem auf das Thema “Beleidigungen von Fremden”; etwas das Katrin auch in einem Folgepost namens “Schimpftirade auf offener Straße” beschreibt. Das hat seinen Grund darin, daß ich selten von Freunden oder Bekannten mit abfälligen Bemerkungen konfrontiert werde. (Ein Hoch auf meine Bubble der Harmonie!) Ein weiteres, wichtiges Thema wären Internet-Hater und Trolle; aber ich weiß nicht wie ich darauf auch noch eingehen soll, ohne hier völlig den Rahmen zu spregen.
Vielen Dank an meinen Mitbewohner für die kreative Hilfestellung! ;-) |
Worum geht's? Allgemein zum Thema...
Schon mal vorneweg: Eine Beleidigung sind etwas, was jeden treffen kann. Nichtsdestotrotz, die Wahrscheinlichkeit hängt natürlich auch nicht unwesentlich an der eigenen Position in der sozialen Hierarchie, d.h. es ist deutlich wahrscheinlicher zur Zielscheibe zu werden, wenn man zufällig eine Frau, schwarz, queer, behindert etc. ist. Das hat IMO mehrere Gründe, die ich hoffentlich im Folgenden etwas ausführen kann. Hauptsächlicher Faktor ist m.E. jedoch, daß man vom Angreifer als jemand wahrgenommen wird, von dem man keine Gegenwehr erwartet.
Das, und das kann man nicht genug betonen, heißt natürlich nicht, daß man selber schuld daran ist, beleidigt zu werden, weil man “schwach” erscheint. Die Beleidigung bestätigt nicht, daß man zu fett, zu schwarz, zu queer oder einfach zu provokativ ist. Das heißt, man kann den Übergriff nicht vermeiden, indem man den Kopf unten hält und ein paar geheimen Regeln folgt. Wirklich, bitte als Mantra übernehmen: Es ist nicht deine Schuld! Es gibt keine Rechtfertigung für verbale Übergriffe. Es ist dein Recht zu sein, was und wer du bist – völlig gleichgültig, was andre Leute denken!
Und, mal ehrlich, sie können denken, was sie wollen, solange sie dabei den Mund halten. Leider sind wir damit schon beim Problem angekommen – es gibt immer jemanden, der die fundamentalen Regeln zwischenmenschlichen Verhaltens nicht versteht und keinen Filter zwischen Denken und Sprechen kennt. Also sagen sie direkt was ihnen in den Kopf kommt – und meistens ist das nichts, was man unbedingt hören wollte.
Die Frage dabei wäre: Warum machen sie das?
Und die Antwort darauf ist ziemlich einfach: Weil sie sich dadurch besser fühlen.
Jemanden zu beleidigen heißt jemanden zu objektivieren, heißt sich selber als überlegen zu imaginieren und damit das eigene, niedrige Selbstwertgefühl zu pushen. Das funktioniert natürlich nur, solange das Opfer des Übergriffs auf der Empfängerseite der Aggression bleibt und in seinem Objektstatus verharrt. Sobald man anfängt sich zur Wehr zur setzen, verwandelt sich der gewünschte Effekt in sein Gegenteil.
Das ist nicht nur für den Aggressor der Fall sondern auch für das Opfer. Irgendeine Reaktion auf eine Bedrohung ist notwendig, um sie verarbeiten zu können. Klassisch ist das eine Entscheidung zwischen “Fight or Flight”, also Kampf oder Flucht. Nun wäre meine küchenpsycholgische Interpretation der Situation, daß im Fall einer Beleidigung der Übergriff bereits erfolgt ist. Du kannst der Attacke nicht mehr entkommen, weil sie bereits erfolgt ist. Also hast man zwei Optionen...
Wie gehe ich mit Beleidigungen um?
Reaktion 1: Ignorieren
Man stellt sich vor, man sei undurchdringlich und läßt die Beleidigung einfach von sich abtropfen. Das heißt du bist in einer Position, in der du die Beleidung als etwas Fiktionales ansehen kannst, das dein persönliches Schutzschild nicht durchdringt. Du weißt, daß der Angreifer eigentlich eine bemitleidenswerte Kreatur ist und der Angriff für dich keinerlei Bedeutung hat. Das ist eine sehr beneidenswerte Haltung und ich bin mir sicher, daß es nicht viele gibt, die diese erreicht haben. Es ist quasi so eine Art schwarzer Gürtel in Gelassenheit nötig. Und auch wenn man gute Tage hat, an denen das gelingt, gibt es auch andere.
In diesen Fällen fühlt man sich verletzt und gedemütigt und es dauert Stunden, bis man den Angriff einigermaßen “verdaut” hat. Ziemlich wahrscheinlich wird man einige Zeit darauf verwenden, darüber nachzudenken wie man solche Situationen in Zukunft vermeiden kann und damit auch inwiefern sie berechtigt war (Bin ich wirklich zu [bitte irgendeinen Makel einfügen]?). Vielleicht denkt man darüber nach, eine Diät anzufangen, unauffälligere Klamotten zu tragen, vielleicht überlegt man sogar, ob eine Schönheitsoperation die Lösung wäre…
Viele Menschen sind verzweifelt bemüht als etwas/jemand durchzugehen, das/der wenig (negative) Aufmerksamkeit auf sich zieht: homosexuelle Männer zelebrieren ein Macho-Gehabe um bloß nicht als “Schwuchtel” wahrgenommen zu werden und viele Frauen verstecken sich in farblosen Säcken in der Hoffnung, unsichtbar zu werden.
Eine gute Freundin von mir gestand mir vor einer Weile, daß sie sich verstärkt Gedanken um ihr Outfit und ihr Auftreten mache, da sie häufiger als “Lesbe” betitelt worden sei. Sie sagte, sie ziehe in Erwägung sich die Haare wachsen zu lassen und überlege, mehr Klamotten zu tragen, die weniger “butchy” und femininer sei. Wir sprachen ein paar Minuten darüber und kamen schnell zu dem Schluß, daß das vermutlich gegen dieses Schubladendenken gar nicht helfen würde; alles was sie so erreichen könnte, wäre sich selbst zu verleugnen um in ein männliches Klischeebild zu passen. Dazu kommt ja auch, daß als Lesbe bezeichnet zu werden auch nichts ist, wofür man sich schämen müßte, auch dann nicht, wenn man es schöner fände, nicht schon beim ersten Eindruck in eine solche Schublade gesteckt zu werden bzw. überhaupt lieber selber wählen möchte, als was man wahrgenommen wird.
Kleiner Exkurs: Sexuell aufgeladene Sprüche
Wie dem auch sei, die Diskussion brachte einen anderen Aspekt ans Licht, den ich in dem Kontext für relevanter halte: Es ist der Faktor “Beweis mir das Gegenteil”. Wenn dich ein Kerl als Lesbe bezeichnet kann das eine sehr krude Art von Anmache sein. Die Implikation dabei wäre “Wenn du keine Lesbe bist, was ist dann deine Ausrede nicht mit mir was zu trinken/mich zu küssen/Sex mit mir zu haben.”
Die Grenze zwischen einem Anmachspruch und einer Beleidigung ist oft sehr, sehr dünn und meist überhaupt nicht existent. Warst du schon mal in der Situation, daß du dich gefragt hast, ob so ein Spruch überhaupt bei irgendjemandem funktionieren könnte? Daß irgendjemand auf eine solche Anmache positiv reagieren könnte?
Ich schreibe das natürlich aus der Perspektive einer Frau mit großen Brüsten, die mir eine Menge Kommentare einbringen, von absolut lächerlich bis hin zu wirklich eklig. Aber schlußendlich ist es eben egal, was es ist – Menschen und Männer im besonderen schaffen es eben immer, einen schwachen Punkt zu finden, auf dem sie rumhacken können.
Ich will jetzt nicht in einen Rant über meine Erfahrungen abschweifen. Worum es mir ging, war klar zu machen, daß auch sexuell aufgeladene Sprüche als Beleidigungen fungieren, die jemanden objektivieren und dadurch den Sprecher in seiner Über-Subjektivität bestärken.
Reaktion 2: Spiegeln
Wie ich schon oben erwähnt habe, gibt es zwei Reaktionen: die eine wäre zu versuchen, die Beleidigung zu ignorieren, die andere ist, die erfahrene Aggression zu spiegeln, sie also direkt 1:1 zurückzugeben. Jemand kommentiert deinen Körper? Dann sag ihm, er ist häßlich, dumm, was auch immer dir gerade einfällt. Es muß nicht geistreich sein (obwohl es natürlich immer schön ist, wenn einem was Gutes/Witziges/Intelligentes einfällt). Es geht nur darum, etwas Negatives zurückzugeben.
Die erste Reaktion die du bekommen wirst ist Überraschung. Jemand der andere auf die Art beleidigt wie er dich gerade beleidigt hat, rechnet nicht mit Widerstand. Die zweite Reaktion wird vermutlich Ärger und Wut darüber sein, daß du es gewagt hast, den Spieß umzudrehen. Und das ist der Moment der einfach unbezahlbar ist und dir ermöglicht, einfach weiterzugehen, fröhlich pfeifend, statt dich für Stunden selbst zu hassen.
Kurz: Sich zu wehren wirkt wirklich Wunder. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, daß sich damit die Frage der Aggression-in-sich-Hineinfressens wirklich erledigt hat. So kann man die Akte Beleidigung direkt schließen und einen schönen Resttag haben.
Natürlich muß man sich überlegen, ob man sich in der entsprechenden Situation sicher genug fühlt. Es ist sicherlich keine gute Idee, einen wütenden Mob zu provozieren oder jemanden in einer Situation herauszufordern, in der es niemanden gibt, der dir im Notfall zur Hilfe eilen könnte. Andererseits finden die meisten Beleidigungen am hellichten Tag auf offener Straße statt und die Angreifer sind nicht unbedingt 2-Meter-Nazis, zu deren liebsten Hobbies Straßenkämpfe gehören.
Soweit mein ursprünglicher Plan. Ich möchte noch ganz kurz ein paar Sachen sagen.
Finale Anmerkungen:
Mein Ratschlag mit dem “Zurückschlagen” klappt vermutlich nicht für alle. Ich denke dabei vor allem an Situationen in denen sexuelle Übergriffe stattfinden und die Opfer sich hinterher Vorwürfe machen – und ihnen Vorwürfe gemacht werden – sie hätten nicht ausreichend deutlich Nein! gesagt. Das ist nicht, was ich hiermit sagen will. Ich möchte ermutigen, sich Beleidigungen nicht gefallen zu lassen. Eben weil man ihnen nicht entgehen kann.
In meinem Leben praktiziere ich trotzdem einige “Flight-Strategien” – ich laufe mit Kopfhörern durch die Stadt, vermeide viele Locations (z.B. Prollokneipen/-dissen) und ggf. auch Gruppen von männlichen Halbwüchsigen. Dazu gehören auch “Stealthy-Approaches” wie eine gewisse Auswahl von Klamotten, die nicht sonderlich feminin wirkt. (Das Tragen von Röcken soll sich bspw. wirklich signifikant in der Anzahl von blöden Anmachen niederschlagen!)
Taktische Vorgehen bei Bekannten und Freunden: Weil es natürlich auch vorkommt, daß man einen blöden Spruch von jemandem reingedrückt bekommt, den man besser kennt und vielleicht sogar mag: Hier kann es helfen, die Person darauf anzusprechen, daß man sich davon verletzt fühlt. Durch eine “Ich fühle mich soundso”-Formulierung läßt sich meistens eine persönliche Ebene herstellen, durch die der anderen Person die Implikationen der eigenen Aussage bewußt werden, wodurch man ein schlechtes Gewissen ergo eine längerfristige Besserung erzeugen kann. (Wenn man Glück hat.)
So, jetzt reicht’s aber wirklich. Wenn euch noch was einfällt, würde ich mich wahnsinnig über Kommentare freuen.
Wie geht ihr mit Beleidigungen um?