Spoiler: Auf die BH-Bügel achten! ;-)
Die Sache mit dem richtigen BH ist bekanntlich nicht so einfach: rund 80% aller Frauen sollen die falsche Größe tragen. So sagt man zumindest, denn obwohl völlig unklar ist, woher diese Zahl kommt, hält sie sich recht hartnäckig. Aber egal, wir schreiben ja hier keine wissenschaftliche Arbeit, da kann man auch mal eine gefühlte Statistik verwenden.
Angesichts dieses riesigen Prozentsatzes muß man sich natürlich fragen, wie diese Fehlerquote zustande kommt. So schwer kann es doch mit der richtigen Größe nicht sein, oder?! Immerhin hat mittlerweile fast jeder Online-Shop für Wäsche eine eigene Anleitung bzw. “Fehlerausschluß-Liste”. Ich fasse mal grob zusammen, worauf man in erster Linie bei der Passform achten sollte…
Die sechs Anfänger-Indizien:
► der Steg liegt an
Wenn der Steg nicht anliegt ist das Körbchen zu klein.
► keine Brötchen/Doppelbrust – der Übergang zwischen Brust und BH ist glatt
Wenn der Körbchenrand in die Brust einschneidet ist das Körbchen zu klein.
► das (Ober-)Körbchen wirft keine Falten
Wenn der Stoff Falten wirft, ist das Cup zu groß.
► Unterbrustband rutscht nicht nach oben und sitzt straff am Körper
Wenn das Unterbrustband im Rücken nach oben wandert, ist es zu weit.
► die Träger schneiden nicht ein bzw. tragen nicht das Brustgewicht
Wenn zuviel Gewicht an den Trägern hängt, ist das Unterbrustband zu weit.
► die BH-Bügel liegen auf den Rippen und nicht auf dem Brustgewebe
Wenn der BH vorne hochrutscht, sind i.d.R die Körbchen zu klein und das UBB zu weit.
Verwendet man diese Liste, um festzustellen daß die bisher getragenen BHs gar nicht passen, ist das erst mal völlig unproblematisch. Schwierig wird es erst, wenn man versucht damit zu bestimmen, wie gut ein ‘gefitteter’ BH wirklich sitzt. Also wenn man quasi nicht falsi- sondern verifizieren möchte. ;-)
Klassischerweise zeichnet einen gefitteten oder auf deutsch ‘angepaßten’ BH aus, daß er ein engeres Unterbrustband (UBB) und größere Körbchen hat als die bisher getragenen Exemplare (die Kombination aus zu weitem Unterbrustband und zu kleinem Cup ist der häufigste Fehler bei der Größenwahl). Tatsächlich neigen viele Frauen in der Euphorie der neuen Größe dazu, ins andere Extrem zu verfallen: statt zu kleine Cups/zu weite UBBs suchen sie sich zu große Cups und zu enge UBBs aus. (Das Phänomen ist auch bekannt als Umgekehrte Buchstabenphobie)
Nächste gute Frage: Warum fällt denn nicht direkt auf, daß die Größe falsch ist?
Die Antwort liegt auf der Hand: Weil alle oben genannten Kriterien erfüllt sind!
Daher muß man zur Beurteilung der Passform weitere Aspekte mitberücksichtigen. MiaRose hat Anfang des Monats in ihrem Beitrag
Faktoren die die Passform beeinflussen bereits auf die Problematik hingewiesen, daß man von gemessenen Werten alleine noch nicht auf die richtige BH-Größe schließen kann, weil Brüste selbst noch eine Menge an variablen Eigenschaften mitbringen können.
Ein bekanntes Beispiel für Versuche, solcher Variablen habhaft zu werden sind die Einteilungen in Brustform-Typen wie bei den Busenfreundinnen (
Typ 1, 2 und 3) sowie die
Breast Shapes bei
Reddit’s A Bra That Fits. Die Problematik dabei ist natürlich, daß man meist – mangels Vergleichsmöglichkeiten und Maßstab - erst mal überhaupt gar keinen Plan hat, wie man sich in solchen Aufteilungen verorten soll. Über die eigene Brustform und die jeweiligen BH-Schnitte und mögliche Inkompatibilitäten zu spekulieren, bringt einen da häufig nicht unbedingt weiter.
Bei den Busenfreundinnen hat sich daher der BH-Bügel als erster Indikator für den richtigen Sitz etabliert wenn man mit der Anfängerliste nicht mehr weiterkommt.
Welche Funktion hat der BH-Bügel?
Der BH-Bügel bildet die Grundfläche des Körbchens über dem sich das Cupvolumen wie ein Zelt aufspannt. Bei einem eher flachen Körbchen ist dieses Zelt eher wie ein Suppenteller, bei einem tiefen Körbchen gleicht es eher einem Longdrinkglas. D.h. im Verhältnis zur Tiefe des Cups bestimmt sich ob ein BH eher breit- oder eher schmalbügelig ist. Das Volumen sollte idealiter innerhalb einer Körbchengröße erst mal identisch sein.
Für die Anpassung eines BHs heißt das, daß der Bügel möglichst genau die Fläche umfassen sollte, auf der die Brust angewachsen ist (Brustbasis); die Brust wird über die Spannung des Körbchenstoffs stabilisiert und von der Unterbrustbandkonstruktion gehalten – so entfaltet der BH sein optimale Stützwirkung. Die folgende Grafik von
Bratabase veranschaulicht, wie unterschiedlich groß diese Fläche sein kann:
Das ist natürlich nur ein Beispiel – Frauen sind alle unterschiedlich. Die Brustbasis kann also eher oval sein, z.B. hochoval oder längsoval, kreisrund und dabei eher klein oder eher groß, die Brust kann tief auf dem Brustkorb sitzen oder eher hoch, nah beisammen oder weit auseinander – das sind alles Faktoren, die man bei der Anpassung eines BHs berücksichtigen muß und über die konkret der Verlauf des Bügels Aufschluß gibt, denn ohne Maßstab ist es natürlich schwierig das herauszufinden.
Der erste wichtige Punkt auf den es zu achten gilt, ist daß der Bügel ausreichend breit ist, also wirklich um die Brust herumführt und nirgends auf dem Gewebe draufliegt. Ich bin mir mittlerweile sicher, daß die ominösen 80% dafür verantwortlich sind, daß Bügel-BHs einen so schlechten Ruf genießen, denn ein zu kleines Körbchen bedeutet natürlich in der Regel auch, daß der Bügel zu schmal ist und ins Brustgewebe drückt und piekst. Der dauernde Druck kann dann in schlimmeren Fällen zu Verhärtungen oder Entzündungen führen. (
Wer hat Angst vorm Bügel-BH?) Unter anderem deswegen ist die richtige BH-Größe kein rein ‘kosmetisches’ Problem.
Damit man überhaupt einen aussagekräftigen Sitz des BHs erreicht, also die Passform wirklich beurteilen kann ist es selbstverständlich wichtig, den BH auch richtig anzuziehen – was man echt nicht oft genug sagen kann, denn auch das machen die meisten Frauen falsch und viele brauchen auch einige Versuche um zu verstehen, worum es geht. Also schön
den 7-Punkte-Plan angucken, eine eigene Routine entwickeln und üben-üben-üben!
Angenommen wir haben nun sichergestellt, daß alles Brustgewebe sich innerhalb des Körbchens respektive des Bügels befindet, kommen wir zum nächsten Schritt – der Bügelanalyse.
Ich hab mal versucht ein paar Probleme zu illustrieren. Leider ist die Umsetzung nicht so ganz gelungen, von meiner Methode mit der Hand eine Skizze anzufertigen und diese dann abzuphotographieren mal ganz abgesehen. Ich hoffe, man kann trotzdem einigermaßen erahnen, was ich zeigen will. Aber dafür gibt’s ja auch Begleittext…
Ausgangspunkt fürs Trouble-Shooting:
Der Bügel folgt nicht der Brustbasis.
Indizien dafür sind:
► unterhalb der Brustfalte sammelt sich noch Stoff
► der Bügel rutscht immer wieder nach unten
► der Bügel ist zu lang und piekst oben in den Arm/die Achsel
► der Bügel ‘reicht schon fast auf den Rücken’, ist also viel zu breit
Fall 1: Der Bügelverlauf ist zu schmal für die Brustbasis
Was ich versuche hier zu zeigen ist, daß der Bügel nach unten gedrückt wird, weil der Bügel zu schmal für die Brustbasis ist. Manchmal muß das gar nicht so viel sein – manchmal sieht man das nur an am Bügelende, das sich leicht ins Gewebe eindrückt, so daß eine kleine Delle ensteht. In der Regel fällt diese Form von Bügelproblem unter Orange im Glas. (Vgl. auch
Orange im Glas – reloaded)
Häufig tritt dieses Phänomen bei Frauen auf, die eine eher längsovale Brustbasis haben.
Fall 2: Der Bügel ist zu lang für die Brustbasis
Der Bügel liegt nicht in der Brustfalte, weil er einfach zu lang und U-förmig ist. Die Breite ist gar nicht so schlecht, nur die Form ist einfach suboptimal: durch die Länge pieksen die Bügel oben in die Achsel, man kann sie gar nicht so weit hochschieben, daß der Bügel unten in der Brustfalte ‘einrastet’.
Häufig tritt dieses Phänomen bei hoch angesetzen Brüsten auf. Erschwerend kommt hinzu, daß viele Hersteller sehr flache Schnitte (Minimiser) produzieren, die mit den Brusteigenschaften größerer Brüste (diese wachsen ja mehr in die Tiefe als in die Breite) nicht harmonieren.
In beiden Fällen wird wertvolles Körbchenvolumen an den Bereich unter der Brustfalte ‘verschwendet’, d.h. häufig bilden sich dort dann Falten und oben ist das Körbchen zu klein oder zu knapp, obwohl das Volumen theoretisch sogar passt. Hier liegt tendenziell eine Schnitt-Inkompatibilität vor.
Fall 3: Der Bügel ist einfach zu groß/breit
In meinem dritten Fall ist der Bügel an jeder Stelle ziemlich weit vom Brustende entfernt. Man sagt dazu gerne “die Bügel reichen bis auf den Rücken”. Nun gibt es Frauen, gerade solche, die ein wenig dicker sind, bei denen an der Seite wirklich noch ganz viel Gewebe ist und die deswegen so breite Bügel brauchen, damit diese flach am Körper anliegen und nicht noch nach außen gedrückt werden. In meinem Beispiel soll die Brust (siehe gestrichelte Linie) aber sehr deutlich vor dem Bügelende aufhören – ohne nenneswerte Seitenspeckausläufer.
Was leiten wir aber nun aus diesem Bild ab? Theoretisch kann es darauf hindeuten, daß ein BH sehr flach geschnitten ist, also die Volumenverteilung des Körbchens nicht mit der Brustform übereinstimmt. Allerdings es oft quasi unmöglich das ohne eine Vergleichsgröße herauszufinden, denn durch die zu breiten Bügel verschiebt sich die ganze Beurteilungsgrundlage.
► Breite Bügel verlängern künstlich das Unterbrustband, es wirkt dadurch länger als es wirklich ist.
► Unterbrustband und Körbchen können nicht ihre ideale Stützwirkung entfalten, weil der Cupstoff nicht durch die Brust “aufgespannt” wird. Häufig führt das dazu, daß man zusätzlichen Halt über die Träger erzeugen muß.
► Die tiefste Stelle des Körbchens verschiebt sich nach außen; so werden die Brüste entweder stark nach außen gedrückt oder der BH ist in Stegnähe zu flach und die Brust fällt zur Mitte aus dem BH, wodurch er wiederum zu klein (!) wirkt.
► Die Bügel neigen dazu, am äußeren Rand auf die Rippen zu drücken, weil sie zu tief nach unten reichen. Gleichzeitig pieksen sie oft in Achseln und Arme.
► Die Träger rutschen ebenfalls sehr weit zur Seite, wodurch der BH unter den Armen zu hoch sein kann und entweder der Stoff und oder die Träger reiben und einschneiden. (aka “Seitenproblem”)
Kurz: es wird sehr schwer abzuschätzen, ob der Schnitt einfach nicht zur Brust paßt oder ob es sich um die falsche Größe handelt, d.h. ob nicht der Großteil der genannten Problematiken sich durch eine kleinere Körbchengröße und evtl. ein weiteres Unterbrustband lösen ließen. Indizien für ein zu großes Körbchen wären z.B. ein Unterkörbchen das im Verhältnis zum Oberkörbchen so groß ist, daß eine oben abgeflachte Form entsteht oder einfach, daß der BH sehr bedeckend ist. (Rollkragen-BH)
Meiner Meinung nach ist es also am einfachsten, bei der Suche nach einer passenden Größe und einem passenden Modell erst einmal darauf zu achten, daß die Bügel möglichst gut zum Verlauf der Brustbasis passen – wenn das abgehakt ist, kann man sich den Fragen widmen, ob die Tiefe des Körbchens stimmt und ob die Volumenverteilung des Cups mit der Brustform harmoniert.
Möglichst gut heißt natürlich immer, daß man erst mal austesten muß, was der Markt hergibt – BHs werden in der Regel ja nicht maßgefertigt sondern als Konfektionsware mehr oder weniger gut auf die durchschnittlichen Bedürfnisse der Zielgruppe hin konzipiert. D.h. mit etwas Glück findet man eine Marke oder ein paar Modelle, die den eigenen körperlichen Voraussetzungen recht nahe kommen. Man kann natürlich aber auch Pech haben und nichts finden, was gut funktioniert.
Allerdings scheint es so eine Tendenz zu geben, wenig mit Größen zu experimentieren und statt dessen sehr vorschnell zu einem Inkompatibilitätsurteil zu kommen, also eher zu sagen “Daß es nicht paßt liegt am Schnitt” als “Daß es nicht paßt, liegt an der Größe”. Ich habe das des öfteren bei den Busenfreundinnen in der Galerie beobachtet, aber auch in der Brablogosphere kommt das häufiger vor. Und sogar beim Live Fitting ist es schon passiert, daß nach einem Fehlversuch mit einer Größe eines Modell die Motivation es noch einmal mit einer anderen zu versuchen, deutlich sowohl bei Kundin als auch Brafitterin nicht mehr richtig in Frage kam. Dabei hat ja gerade Offline-Fitting in der Regel den riesigen Vorteil, daß man sich problemlos und zeitnah durch weitere Größen eines Modells probieren kann, während das bei allen die auf Onlineshopping angewiesen sind schwierig ist. (Denn wer bestellt schon immer vier, fünf Größen zum Vergleich?)
Keine Ahnung, warum da so viele Frauen zum Fatalismus neigen. Ich kann nur zu mehr Experimentierfreunde raten. Bra Fitting funktioniert in der Theorie nämlich leider immer nur so lala.
So, das war jetzt mein letzte theoretische Bra Fitting-Abhandlung des Jahres. Ich hoffe, ihr konntet einigermaßen folgen und es bringt euch so ein bißchen was. Über Nachfragen und Kommentare freu ich mich natürlich wie immer.
Endnotizen:
Einen ganz großartigen, sehr ausführlichen Passform-Check hat Anna vor ein paar Wochen auf Bras and Body Image veröffentlicht:
Troubleshoot your bra size [englisch]
Auch noch mal ein Hinweis auf einen sehr interessanten Gastbeitrag bei Lingerie Addict,
Bra Wires 101 – A Basic Guide by Lyzzy Beswick. [englisch]