Ich habe mich schon häufiger gefragt, wie ich mein Interesse für Bra Fitting so verpacke, daß bei “Nicht-Initiierten” richtig ankommt; die erste Reaktion wenn ich sage, ich beschäftige sich mit Unterwäsche, ist nämlich eher sowas wie peinlich berührtes Schweigen. So, als hätte ich – ungefragt – über meine sexuellen Vorlieben geplaudert. Ja, erm, Themenwechsel?!
Meine nachgeschobene Erklärung, es ginge um passende BHs für Frauen, was ein verbreites (gesellschaftliches!) Problem sei, und – naja – erst mal um Funktionskleidung, wird dann schon gar nicht mehr wahrgenommen; ist quasi dem Jugendschutzfilter zum Opfer gefallen. Und der kommt schon mit einem ganzen Set von Assoziationen (sonst würde das Filtern ja nicht funktionieren). Nach dieser Vorstellung ist dann auch Dessous-Blog = Bilder von sich für den ‘male gaze’ räkelnden, halbnackten Frauen in Häuchen von Nix.
Verrückterweise ist für mich die ganze Angelegenheit mit den BHs ja in erster Linie feministisches Projekt – also ein Weg, Frauen zu einem besseren Körpergefühl, mehr Selbstvertrauen und optimierter Bewegungsfreiheit zu verhelfen. Man könnte also, provisorischerweise, sagen: das Gegenteil von dem was mir unterstellt wird.
Mir ist es total wumpe, was eine Frau drunterträgt, so lange es hält und stützt und formt wie sie möchte und sie sich damit wohl fühlt. Es kann ein sog. Brustpanzer sein, ein T-Shirt-BH, ein durchsichtiges Stückchen Tüll oder ein bondage-inspiriertes Retroteilchen – I don’t care. Das ist – erst mal – persönliche Geschmackssache. Was ich mir wünsche, ist daß diese Vorstellungen des Ideal-BHs für alle Frauen, unabhängig von Körperform (in erster Linie), real umsetzbar sind, daß also der Markt ein Angebot bereitstellt, daß sich mit der realen Vielfalt der Frauen deckt (zumindest annähernd). Und dann können wir über individuelle Vorlieben im Design sprechen.
Diese Herangehensweise reflektiert natürlich stark meine persönlichen Gewichtungen: ich betrachte BHs eben erst mal als Unterwäsche, in diesem Sinne Funktionskleidung, und hänge einem gewissen “form follows function”-Pragmatismus an. Wie vermutlich der Mainstream der deutschen Frauen. Trotzdem möchte ich nichts tragen müssen, was ich selber unattraktiv finde; d.h. jenseits von Lingerie-Begeisterung in einem sexuellen Kontext muß ich mich in einem solchen ausziehen können, ohne das Gefühl zu haben irgendwie… äh… unpassend gekleidet zu sein. ;-)
Das ist natürlich ein sehr niedrigschwelliger Anspruch wenn es um die Kleidsamkeit von Lingerie geht, der nicht nur etwas mit dem Mangel an sexy Wäsche in meiner Größe zu tun hat, sondern auch mit meinem mangelnden Interesse am “sich in Szene setzen”. Umgekehrt zur eingangs erwähnten gängigen Unterstellung, muß ich mir nämlich oft selber auf die Finger klopfen, nicht in Tendenzen von Slutshaming zu verfallen.
Ja, richtig gelesen, Slutshaming. Oweia.
Bei mir spult sich beim Stichwort “sexy Dessous” gleich der ganze Katalog von Vorurteilen ab: Standard-Porno-Optik mit Plastiktouch, kein Körperhaar, rote Plastik-Spitze, Beate-Uhse-Katalog.
Mein Problem ist nämlich, daß ich – offensichtlich genau wie die Leute, die mir einen Wäschefetisch unterstellen – so krass geprägt bin von der üblichen Darstellung von Frauen in der Werbung, daß ich mir Dessous nur noch an gänzlich passiven Objekten männlichen Begehrens vorstellen kann: die gezeigte Person reduziert sich im Bild auf den reinen Körper, von ihrer Subjektivität bleibt quasi nichts übrig. Im Gegensatz zu einer explizit fetischisierten Darstellung, beispielsweise in einem BDSM-Kontext, in der die Unterwerfung gerade den Kink ausmacht, ist diese im Werbebild unmarkiert vorausgesetzt. Dazu kommt natürlich auch die Konsens-Frage: was in einem ‘Vanilla-Zusammenhang’ creepy und rapey ist, ist in einem s/D-Verhältnis abgesprochen und vereinbart. Vielleicht kann man es so erklären, was mich so extrem stört. Dieses ganze “Wickel mich aus, ich bin dein Geschenk”-Topos, das mit der Idee permanenter Verfügbarkeit und dem Diktat von sterilster Attraktivität daherkommt, das nervt mich einfach. Bäh.
Selbstverständlich sollte man aus der medialen Darstellung nicht ableiten, daß Frauen, die gerne schöne Wäsche tragen, sich damit automatisch zum willenlosen Objekt männlicher Begierde machen und sich damit irgendwie anti-feministisch verhalten. (Das war, was ich mit Slutshaming meinte.) Nicht nur, weil das Begehren auch ein nicht-normativ heterosexuelles sein kann, sondern auch weil Sexualität in ihren unterschiedlichen Ausprägungen sowieso kein Gegenstand von Wertung oder Beurteilung sein sollte. Es ist einfach wie es ist. Neben Slutshaming beinhaltet das auch Kinkshaming. Nur weil ich jetzt Lingerie nichts ungewöhnlich aufregendes abgewinnen kann, heißt das ja nicht, daß ich anderen das absprechen, schlechtmachen oder sonstwie "vorwerfen" sollte. Insofern weiß ich auch, daß meine eingangs erwähnte Abwehreaktion gegen die Unterstellung, ich hätte eine sexuelle Affinität zu Wäsche, alles andere als unproblematisch ist.
Es ist irgendwie schwierig...
Was auf jeden Fall schon mal ein Schritt in die richtige Richtung wäre, um aus der "Objektfalle" rauszukommen wäre eine andere Form von Präsentation. Ungefähr zeitgleich zu dem Beitrag, der den Denkprozess zu diesem Post anstieß (Diversity & Sexuality: Talking About the Way We Talk About Victoria’s Secret bei The Lingerie Addict), durchsuchte ich bei tumblr den “Red Lingerie”-tag – inspiriert von Anja’s Rote Wäsche zu Silvester-Zusammenstellung – und neben dem ganzen expliziten Material das ich fand (es ist halt tumblr!) war kaum ein Bild dabei, das ich jetzt guten Gewissens hätte rebloggen wollen. Dabei waren meine Kriterien eigentlich nicht so wirklich revolutionär. Ich wollte ein Werbebild, das mehr auf das Gefühl der Frau mit sich selbst abzielt als implizite Einladung zur sexuellen “Benutzung” ist, also eine Darstellung von Subjektivität, von Aktivität, von Empowerment, von Selbstaneignung, von Zufriedenheit, Spaß, was auch immer. Irgendetwas *in* der gezeigten Person als Individuum, wozu ich mich in Verbindung setzten kann…
Dazu gehört auch die vielzitierte Diversity, also eben nicht nur die Abbildung von jungen, schlanken, weißen, able-bodied CIS-Frauen mit 0815-Brustgröße, die man bis zur Unkenntlichkeit gephotoshopped hat, sondern Women of Colour! Transfrauen! Dicke Frauen! Behinderte Frauen! Kleinbrüstige Frauen! Großbrüstige Frauen! Frauen mit Tigerstreifen! Frauen über 40! In verschiedenen Konstellationen! Go! Go! Go!
So wie die Dinge gerade liegen, ist ein schlecht ausgeleuchtetes tumblr-Selfie ungefähr 3ooomal sexier als die üblichen Werbebilder. Tatsächlich habe ich festgestellt, daß es mir hilft, andere als die üblichen Werbe-Körper in Unterwäsche zu sehen, um aus dieser Gleichsetzung von Dessous=Geschenkverpackung rauszukommen und den Spaß nachvollziehen zu können, den viele an schöner Unterwäsche haben. Denn darum geht’s ja letztendlich.
So, es ist zwar noch längst nicht alles dazu gesagt, aber hier ist jetzt erst mal Schluß mit Bekenntnis.
Wie immer interessiert mich eure Meinung! Her mit den Kommentaren!
Rosie Huntington-Whiteley in the Commercial Love me Tender for Agent Provocateur, one of my favourite brands when it comes to sexist cliches (see rant linked below) Very male-gazey but at least with a surprising turn... |
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6 comments
Ich würde das Ganze aus zwei Sichtweisen betrachten, zum einen ist da tatsächlich die eigene Körpergefühlssache, wenn alles gut verpackt und gestützt ist und auch noch gut aussieht, zum anderen ist da der biblische Eva-Geist mit dem Sinn, das Verbotene zu dürfen, ich würde das mal auf die Neugier beziehen, die uns antreibt.
Ich kann also Frauen durchaus verstehen, die ihre Reize in Szene setzen wollen und können, schließlich sind viele Konflikte im Altertum auch durch Assimilation gelöst worden und da hatten die Frauen meist den größten Anteil. Ich hoffe, das kam jetzt nicht blöd rum.
Was die Werbung und die Präsentation der Unterwäsche betrifft, bin ich aber voll bei Dir. Warum versuchen die Hersteller eigentlich immer mit ihren "gephotoshopten" und teilweise auch "nuttig" wirkenden Bildern ihr Zeug zu verkaufen? Denken die immer noch, dass die Frauen beim Manne nachfragen müssen, was sie kaufen dürfen? Sicher ist die Werbung für Produkte, wie Unterwäsche stark auf das Frauen-Bild der 50er-Jahre zurückzuführen, die "artige Hausfrau" wird zur "Verführerin" ihres geliebten Versorgers. Andererseits tust Du aber Beate Uhse unrecht, denn die war nicht nur die Verpackerin ihrer Geschlechtsgenossinnen, sondern eine bodenständige Geschäftsfrau, die auch passende sinnliche Verpackungen des Mannes kreiert hat.
Dass Verpackungen mehr auf "Augenmenschen", die wir Männer ja nunmal sind wirken, kann man uns aber nicht vorwerfen. Das hängt mit der Evolution zusammen. Unser mangelnder Geruchs- und Hörsinn hatte für das Raubtier Homo Sapiens beim Jagen eine Fixierung auf die Fähigkeiten der Augen zur Folge und da die Jagd Männersache war, ist da auch die vorwiegend visuelle Fixierung verblieben. Sonst wären wir verhungert, weil jedes Jagdtier uns viel früher gewittert hätte als umgekehrt. :-) Klar, in einer entwickelten Spezies, wie sie der Mensch darstellt, ist komplexere Intelligenz sicher wünschenswert, aber wir haben erst ein paar tausend Jahre Evolution hinter uns.
Und ich muss nun auch ehrlich gestehen, dass ich früher ausschließlich auf Funktion geachtet habe, mittlerweile aber viel mehr auch die Optik ins Bild nehme.
Diese "sich-schämen" erlebe ich auch oft! Auch Freundinnen zieren sich auf ein mal über so etwas zu reden .. ich finde dabei ist es doch wie über die neusten Schuhe oder das Kleid zu reden. Aber viele scheinen es doch mit den pikantesten Sex-Details gleich zu setzten. Das finde ich so schade, aber natürlich ist es jedem selber überlassen wie sie damit umgehen möchte :)
@Celina Rath Wie gut zu hören, daß es nicht nur mir so geht. ;-) Ich habe ne ganze Weile gebraucht, bis mir klar wurde, daß es nicht nur ein irgendwie 'intimes' sondern eben ein direkt 'sexualisiertes' Thema ist. Crazy irgendwie...
Danke jedenfalls für deinen Kommentar. *wink*
@BraBerliner
Hey, danke für deinen Kommentar. :)
Das mit dem Altertum und der Assimilation hab ich nicht verstanden. Aber ja, ich wollte auch gar nicht in Frage stellen, daß man Wäsche auch als Schönheitsutensil betrachten kann und betrachten dürfen sollte. Es geht mir nur um die Zwangsläufigkeit mit der das passiert.
Beate Uhse hab ich als Platzhalter verwendet, so wie Tesafilm oder Tempotaschentuch. Das ist natürlich gemein der Frau gegenüber; ich weiß gar nicht wie aktuell das Sexshop-Wäsche-Angebot aussieht. Ergo: My mistake.
Daß Männer eher in ihrer sexuellen Entwicklung von der aktuellen Gesellschaft stark visuell geprägt werden, halte ich für wahrscheinlicher als den andauernden Einfluß urzeitlicher Jagdmethoden, aber ja, daß das in vielen Fällen so ist, läßt sich nicht bestreiten. Aber auch hier die Frage: wieso steht der sexuelle Aspekt von Unterwäsche so stark im Vordergrund, warum ist er nicht einer unter vielen. Dagegen hätte ich nun wirklich überhaupt nichts einzuwenden. Das ist so wie mit Schuhen: es gibt massenhaft funktionales Schuhwerk und nur ein kleiner Anteil entfällt auf kinky High Heels und da scheint's ja auch zu funktionieren. Offensichtlich, weil beide Geschlechter Schuhe tragen...
@george
Der Altertumsbezug war als Joke gedacht. Es wird gemunkelt, dass in einigen römisch-germanischen Schlachten die römischen Soldaten das zivile Leben mit schönen Germaninnen dem blutigen Kriegshandwerk vorgezogen haben. Das heißt unterm Strich, dass die erotischen Waffen der Frauen schärfer waren, als die Schwerter. Mit dem positiven Effekt, dass die Bevölkerung zu- statt abgenommen hat. :-)
Ich finde es, dass wenn man sich schick und ein bisschen sexy anzieht, es zum guten Ton gehört und nicht unbedingt, dass Sexualisierung von Wäsche bedingt ist. Ich könnte auch genauso gut sagen, dass jemand der drauf abfährt, eine Hypersexualität bescheinigen! *lach
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