Das mit Alice Schwarzers Feminismus ist sowas wie eine schwierige Sache – als ich noch dachte, die Geschlechtergleichheit sei schon durchgesetzt und Feministinnen latzhosentragende Relikte der 80er Jahre, war Alice Schwarzer als das Aushängeschild des deutschen Feminismus, Emma und so, nicht gerade eine Sympathieträgerin. Später, als mir klar wurde, daß Sexismus leider immer noch an der Tagesordnung ist und halt nicht mehr einfach als patriarchale Unterdrückung von Frauen durch Männer daherkommt, sondern als quasi-unsichtbares Netz von Stereotypen und Privilegien, steckte ich schnell so tief in poststrukturalistischer Theorie, daß für eine Auseinandersetzung mit Alice Schwarzer wieder keine Zeit oder Gelegenheit blieb. Einmal Stempel “überholt” drauf und das war’s. Ich war schon fast ein bißchen stolz darauf, mich da in Gleichmut zu üben und der Falle entkommen zu sein ihr vorzuwerfen, nicht bereits in der Vergangenheit den aktuellen StatusQuo der Kritik vertreten zu haben. Das Privileg des “Ausblendenkönnens”… (ich meine, man sieht recht deutlich daran, daß ich mich nicht mal über ihre Kopftuch-Aussagen so richtig aufregen konnte, daß ich davon nicht selber betroffen bin bzw. mich nicht angesprochen fühle.)
Kürzlich verwies Anne Luise (von der
BH Lounge) in einer Email auf eine Antwort aus der Emma-Kategorie “Ask Alice” zum Thema Brustvergrößerung, die wirklich so unterirdisch war, daß ich erst mal eine Weile wie ein Goldfisch vor meinem Laptop saß. An dieser Stelle mal eine Triggerwarnung für alle, die empfindlich auf körpernormative Aussagen (im Themenfeld kleine vs. große Brüste) reagieren.
Soweit ist das leider keine Besonderheit – viele Frauen fühlen sich unzulänglich, weil sie glauben oder sogar so gesagt bekommen, daß sie das gängige Brustgrößenideal nicht erfüllen und deswegen “gar keine richtigen Frauen seien.” Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll, so bescheuert finde ich das; also diese gesellschaftliche Zumutung. Aber naja, bei genauerem Hinsehen würde mir wohl eine Menge besseres einfallen als Alice Schwarzer, die das absolute Supernogo vollbringt, alle körpernormativen Aussagen aufzufahren, die man sich so vorstellen kann:
Sie unterstellt, daß Anna natürlich eine knabenhafte Figur haben muß (denn nur superzierliche Frauen haben kleine Brüste) und vergleicht sie deswegen gleich mit Audrey Hepburn. Geschmacksurteile folgen der Imagination auf den Fuß: Sie, also Alice Schwarzer selber, mit ihren “normalen Brüsten” [sic!] fand auch immer “diese aparten Mädchen mit den flachen Busen toll, an denen die Kleider so schick runterfallen.” Damit ist ja schon mal viel gewonnen.
Im Gegensatz zu diesem Ideal von Androgynität behauptet Alice Schwarzer, es gäbe eine Mode der “Riesenbusen”, der “grotesk betonte[n] oder gar künstliche[n] Oberweiten”, der “Push-up-Titten”, die sie “ehrlich gesagt, immer eher an Milchkühe denken” ließen. [SIC!]
Auch dazu muß ich erst mal sagen: WHAT. THE BLOODY. FUCK?!!
In diesem Zusammenhang machen mich so pseudo-nachdenkliche Sätze wie
“Haben wir nicht eigentlich dafür gekämpft, dass die Männer uns endlich auch in die Augen schauen statt nur ins Dekolletée? Und wie kann es überhaupt sein, dass wir es hinnehmen, dass Attraktivität über BH-Größen definiert wird – statt über ein Lächeln, einen Blick, eine Silhouette?”
dann erst so richtig wütend. Ich meine, hallo? Wer sieht den performativen Widerspruch? Ja, ihr könnt die Hände jetzt wieder runternehmen. Offensichtlich jede die bis drei zählen kann.
Nun, ehrlich, ich fühle mich von solchen Aussagen natürlich persönlich beleidigt. Ich hab mir nicht ausgesucht so auszusehen wie ich aussehe, ich finde es unglaublich, daß mich jemand der sich Feministin schimpft aufgrund eines körperlichen Attributs mit einer Milchkuh vergleicht und mir obendrein die Schuld dafür unterzuschieben will, daß mir Männer ständig ins Dekolleté sabbern - sorry, wie ist das denn kein Minirock-Argument?! Das geht so einfach nicht! Denn, auch wenn sich "Anna" jetzt vielleicht besser fühlt - ich mich sicherlich nicht. Damit verschiebt sich eigentlich nur, *wer* gerade eins in die Fresse bekommt, daß jemand eins in die Fresse bekommen muß, wird dabei überhaupt nicht in Frage gestellt.
Man kann nicht die eine Seite aufwerten, indem man die andere abwertet und dabei überhaupt nicht die Grundlage dessen unter die Lupe nehmen, auf der solche Unterscheidungen überhaupt nur Sinn machen: die Voraussetzung nämlich, daß Attraktivität den Kernpunkt weiblicher Identität bildet.
Wir kriegen alle von klein auf an beigebracht wie wichtig es ist, hübsch zu sein, gepflegt, schlank, kurz: begehrenswert. Und gleichzeitig erfahren wir von Anfang an, wie unmöglich es ist, die Zielwerte zu erreichen – wir vergleichen uns mit anderen und egal wie “schön” wir schon sind, die anderen sind immer schöner oder wenigstens Teile von ihnen. Wie die Werbung zerstückeln wir Menschen in schlanke Waden, in straffe Schenkel, in gerade Nasen und geschwungene Lippen, in voluminöses Haar und die ideale Brustgröße. In unseren Köpfen sind wir alle Frankensteins Monster, zusammengeflickt aus den perfektesten Attributen die wir finden können und das führt oft dazu, daß wir uns gar nicht mehr als Ganzes wahrnehmen können. Ich will jetzt nicht irgendwie ins Esoterische abdriften, aber viele Frauen stehen vor dem Spiegel und sehen nur eine Ansammlung von Makeln, während sie gleichzeitig ihr reales Aussehen in gar kein Verhältnis zum gesellschaftlichen Schönheitsideal setzen können. Soll heißen, gerade die Frauen, die am meisten an sich zweifeln, sind häufig am nähesten dran. Ein Maßstab macht ja auch nur dann Sinn, wenn er irgendwie realistisch erscheint. Daß die ganze Anlegenheit mit einem realistischen Anspruch nichts zu tun hat, demonstrieren immer wieder die Superretuschierungen von sowieso schon überirdisch schönen Berühmtheiten, wenn sie denn mal bemängelt werden wie bspw. von Beyonce oder Kate Winslet. Wie geht der Ausspruch von Cindy Crawford? “I wish I looked like Cindy Crawford.”?!
Jedenfalls, mein Punkt wäre, daß es wirklich an der Zeit ist, das Schönheitsthema mal auf die Ersatzbank zu verweisen. Zumal es bisweilen auch echt seltsame Blüten treibt. Kürzlich las ich (irgendwo auf tumblr, ich hab es leider nicht wiedergefunden) etwas über die Darstellung der Schönheit von dicken Frauen unter dem Aspekt “50s-Retro-Babes”, also daß auch dicke Frauen gesellschaftlich als schön anerkannt werden, wenn sie halt einen großen Aufwand betreiben, fancy Kleider tragen und sich ausufernd schminken; die angeschlossene Forderung war, daß man ja aber auch schön sein können müsse, wenn man dick sei und keine massive “Ausgleichsarbeit” für diesen Makel betreibe. Und ja, ich stimme dem zu, ich finde auch, man sollte erst einmal jedem Körper positiv gegenübertreten und ihn einfach so nehmen wie er ist, aber ich finde es auch kritisch, daß alles immer am Begriff “Schönheit” hängt. Jede muß qua definitionem schön sein. Irgendwie beschreibt diese “Schönheit” dann auch gar nichts mehr, wenn der Begriff sowieso für alle gleichermaßen gelten soll. Warum kann man das Konzept dann nicht einfach zur Seite packen? Warum nicht mal über was anderes sprechen? Attraktivität ist z.B. für mich etwas anderes. Sexiness ist etwas anderes. Selbstausdruck ist was anderes.
Ich will mir nicht ständig diese Vergleichsnummer Schönheitswettbewerb reinziehen müssen. Das sind reale Probleme, klar, aber man reproduziert sie auch, indem man sie ständig und ständig wiederholt. Das hat was Magisches, dieses Rezitieren von subjektivem Leiden unter den gesellschaftlichen Verhältnissen. Richtige Freiheit davon wäre, darüber nicht mehr nachdenken zu müssen, den “Spieglein-Spieglein”-Wettbewerb einfach abzustellen. Utopisch ich weiß, aber man kann immerhin Schritte in diese Richtung unternehmen statt sich mit dem bestehenden Zustand abzufinden.
Um noch mal den Bogen zum Aufhänger meines Postings zu spannen: die Debatte, wen es nun schlimmer träfe, die Frauen mit den kleinen oder die mit den großen Brüsten begegnet mir immer wieder und aufgrund meiner eigenen Voraussetzungen bin ich da natürlich auch vorbelastet. Meine Perspektive ist halt nicht die auf den Vorwurf Brett sondern auf die Bezeichnung Milchkuh, statt entfeminisiert fühle ich mich übersexualisiert, meine üppige Figur steht im Kontrast zu meiner Tomboy-Selbstwahrnehmung und Hell, würde ich gerne mal Hosenträger und Krawatte tragen! Ich sehe eine sehr große Tendenz zu Androgynität im Diskurs um Schönheit und ich bin dann entsprechend sehr verwundert, wenn ein Trend zu Kurven und großen Brüsten behauptet wird. Aber dann sind natürlich für mich “große Brüste” auch was anderes als vermutlich die meisten darunter verstehen.
Umgekehrt sehe ich natürlich auch die Argumente derer, die sich am anderen Pol der Skala befinden und was sie über ihre Wahrnehmung von Welt, Werbung und medial vermittelten Idealen und Normen berichten. Das vielzitierte "In die Kinder-Abteilung-schicken" beispielsweise, die abfälligen Bemerkungen von Familie, Freunden und Wildfremden... umso befremdlicher finde ich es, wenn man sich plötzlich in einem vermeintlichen Aufmerksamkeitswettbewerb wiederfindet.
Tatsächlich scheinen beide “Seiten” unausgesprochen um diesen ominösen “Normalbereich” zu kreisen, die imaginäre Gruppe der Frauen mit der perfekten Brust(größe), die den Luxus hat ihre “Probemzonen” woanders zu verorten. Dadurch stellt sich die ganze Debatte dann als Konkurrenz von zwei völlig marginalisierten Gruppen dar, und es geht offensichtlich oftmals darum, eine Art Contest zu gewinnen.
Entsprechend finde ich Aussagen, wie die bei
The Lingerie Journal, im Bereich für Big Cups hätte sich ja so viel getan in den letzten Jahren, während die Small Cups immer noch hoffnungslos abgeschlagen wären, etwas schwierig, weil es versucht, zwei Bereiche gegeneinander auszuspielen. Zugegeben, es gibt im Bereich große Körbchen eine Angebotserweiterung. Aber nur weil Modell bis in große Cupgrößen produziert wird, heißt noch nicht, daß es der Trägerin gut paßt. Die BH-Anpassung im Bereich H-K-Cup ist einfach vielfach schwierig und ich kann echt nicht genug jubeln, daß mir Panache so gut paßt – sonst wäre ich ziemlich out of options. Aus der reinen Anzahl von Angeboten läßt sich daher noch nicht ablesen, wieviel davon wirklich funktioniert.
Das soll nicht heißen, die Forderung, es solle gefälligst auch 28A oder 30C oder 32A-BHs geben, sei irgendwie überzogen. Natürlich nicht! Klar muß es die Größen geben! Es ist eine Frechheit daß das so ignoriert wird. Aber... ja, eigentlich nichts aber.
Noch schnell ein paar Lesetips zum Thema kleine Brüste, als Kontrastprogramm zu oben verlinkten Text:
http://www.kurvendiskussionen.at - vor allem den
#Smallbusters - Fairy Bra Mother Letter
Elfe's Klassiker Gedanken zur kleinen Breitbrust
Unser Kleine Größen-Tag - momentan haben wir leider keine Resident-Bloggerin mit kleineren Brüsten, falls ihr euch berufen fühlt, z.B. für einen Gastbeitrag, schreibt uns doch einfach ne Mail oder nen Comment. ;-)
Die Blogroll von Boosaurus bietet einen super Ausgangspunkt um Bloggerinnen mit einer ähnlichen/gleichen BH-Größe zu finden.
Naja. Ich hab jetzt meinen Punkt gemacht and the time is up. Daher raus mit dem Beitrag. Kommentare, Anmerkungen etc. sind wie immer heiß ersehnt. ;-)
Hier ein eher harmloses Beispiel. Achtung, Insider: Orange ohne Glas. :P