Kürzlich stellte ich fest, daß uns dieses Jahr gleich zwei Kino-Versionen von Schneewittchen bescheren wird, nämlich Snow White and the Huntsman mit Kristen Steward (Twilight) als Snow White, Chris Hemsworth (Thor) als Huntsman und Charlize Theron als böser Königin sowie Mirror, Mirror mit Julia Roberts als Stiefmutter, Sean Bean als König (Irgendwann wird er mal wieder nen Charakter spielen, der das Ende vom Film erlebt… *daumendrück*) und Lily Collins (Priest) als Schneewittchen. Daneben wird es im Februar noch einen Direct-to-DVD-Release von Grimm’s Snow White mit Eliza Bennet (Inkheart) in der Hauptrolle geben.
Bildquelle: Wikicommons |
Eine ähnlich gruselige Darstellung gab es schon in einer Verfilmung mit Sigourney Weaver von 1997 (Snow White: A Tale of Terror), aber auch in Terry Gilliams Brothers Grimm (2005), in der eine böse Hexe (Monica Bellucci) junge Mädchen entführt, um mit deren Leben ihr eigenes zu verlängern. Sogar die Disney-Variante von Rapunzel (Tangled | 2010) erzählt von der bösen Stiefmutter, die Rapunzel als Quelle anhaltender Jugend mißbraucht.
Auch wenn in die Neuerzählungen immer mehr “mildernde” Umstände mit eingesponnen werden – etwa in der Form einer weniger passiven “Heldin” (Schneewittchen, respektive Angelika oder Rapunzel) – wird an der Stiefmutter/Hexe als Inbegriff des Bösen doch durchweg festgehalten. Ihre kriminelle Energie speist sich dabei aus dem Wunsch, unnatürlicherweise (!) ewig jung und schön zu bleiben und damit (implizit) ihre Machtposition als “first lady” zu behalten, die sie eigentlich - aus Altersgründen - an Schneewittchen (oder eine andere Konkurrenz) abgeben müßte. Dabei wird nicht Schönheit als solche problematisiert, sondern Eitelkeit, Stolz, Neid und Hochmut - also die guten alten Todsünden... Schönheit ist erlaubt, solange sie "natürlich" ist und zweckfrei bleibt und die schöne Frau passiv, Gegenstand der Bewunderung irgendwelcher Kerle.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber in der Konstellation stellt sich dann plötzlich die böse Stiefmutter als geschmähte Karrierefrau und damit irgendwie Sympathieträgerin dar und Schneewittchen als die Verkörperung einer Frauenrolle, die hinter eigentlich alles zurückfällt, was man jemals als emanzipative Errungenschaft hat betrachten können. Das ist schon auch eine merkwürdige Situation, denn Schönheit als Mittel der Macht ist ja nicht unbedingt etwas, das man affirmieren möchte, oder?
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber in der Konstellation stellt sich dann plötzlich die böse Stiefmutter als geschmähte Karrierefrau und damit irgendwie Sympathieträgerin dar und Schneewittchen als die Verkörperung einer Frauenrolle, die hinter eigentlich alles zurückfällt, was man jemals als emanzipative Errungenschaft hat betrachten können. Das ist schon auch eine merkwürdige Situation, denn Schönheit als Mittel der Macht ist ja nicht unbedingt etwas, das man affirmieren möchte, oder?
Die Idee, der “Wert” einer Frau und damit verbunden ihr Einfluß (nämlich auf die Männer) ließe sich auf ihre körperliche Attraktivität reduzieren, ist natürlich keine Erfindung irgendwelcher Märchenerzähler, wenngleich sie auch in allen möglichen Geschichten von der Antike bis in die Gegenwart eine Rolle spielt: Die begehrenswerte Frau ist Motivation für Heldentaten, Ursache von Kriegen, ja sogar der Grund, weshalb die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden. Diese Vorstellungen prägen durchaus sehr nachhaltig unsere Vorstellungen von Identitäten und damit auch irgendwie die Realität. Wenn man beispielsweise mal versucht aus der Menge aller möglicher berühmter Frauen der älteren und neueren Geschichte, diejenigen auszuklammern, die vor allem über ihre Schönheit und/oder ihre Liaison mit einem einflußreichen Mann bekannt geworden sind, bleibt eine erschreckend kleine Zahl übrig. (Die Mütter kann man auch mal rausrechnen.) Wissenschaftlerinnen, Politikerinnen, Schriftstellerinnen, erfolgreiche Unternehmerinnen oder Künstlerinnen sind nicht nur im Vergleich zu ihren männlichen Pendants bis heute extrem in der Minderzahl, sondern auch gegenüber all den weiblichen Stars, IT-Girls, Musen und Geliebten, die ihren Ruhm ihrer Attraktivität verdanken.
Weibliche Schönheit gerinnt damit zu einer Art von schlechtem Äquivalent für die Leistungen von Männern, seien es nun Erfindungen, Entdeckungen, Eroberungen oder sonst was; und bestenfalls ist sie auch noch so natürlich und unschuldig ist wie die von Schneewittchen - ohne den Beigeschmack künstlicher Hilfsmittel versteht sich.
Nun wirkt sich dieses gesellschaftliche Klima nach wie vor auf die individuelle Entwicklung und Sozialisation von Mädchen aus. Sicherlich gibt es heutzutage noch andere Karriereoptionen als Haushälterin bei den Sieben Zwergen und Hochzeit mit dem Prinzen oder eiskalte Hexe, die versucht sich einen Millionär zu angeln - trotzdem werden Kinder immer noch mit Prinzessinnengeschichten und Hochglanzzeitschriften bombardiert, in niedliche Kleider gesteckt und gelobt wie süß sie darin aussehen, gemaßregelt wenn sie zu viel (Süßes) essen, ermahnt, schön schlank zu bleiben, gehänselt wegen ihrer Brillen, Zahnspangen, Pickel, Körperhaare, Brüste, Klamotten usw. - kurz: indokriniert mit dem Dogma des "ansprechenden Äußeren".
Weibliche Schönheit gerinnt damit zu einer Art von schlechtem Äquivalent für die Leistungen von Männern, seien es nun Erfindungen, Entdeckungen, Eroberungen oder sonst was; und bestenfalls ist sie auch noch so natürlich und unschuldig ist wie die von Schneewittchen - ohne den Beigeschmack künstlicher Hilfsmittel versteht sich.
Nun wirkt sich dieses gesellschaftliche Klima nach wie vor auf die individuelle Entwicklung und Sozialisation von Mädchen aus. Sicherlich gibt es heutzutage noch andere Karriereoptionen als Haushälterin bei den Sieben Zwergen und Hochzeit mit dem Prinzen oder eiskalte Hexe, die versucht sich einen Millionär zu angeln - trotzdem werden Kinder immer noch mit Prinzessinnengeschichten und Hochglanzzeitschriften bombardiert, in niedliche Kleider gesteckt und gelobt wie süß sie darin aussehen, gemaßregelt wenn sie zu viel (Süßes) essen, ermahnt, schön schlank zu bleiben, gehänselt wegen ihrer Brillen, Zahnspangen, Pickel, Körperhaare, Brüste, Klamotten usw. - kurz: indokriniert mit dem Dogma des "ansprechenden Äußeren".
Der Mangel an Role-Models, die nicht über körperliche Attraktivität definiert sind, führt genauso wie immer noch existierende und immer wieder wiederholte Anspruch an Mädchen gesellschaftliche Schönheitsideale zu erfüllen dazu, daß Optik nach wie vor einen, wenn nicht den zentralen Aspekt weiblicher Identitätsbildung darstellt.
Wen wundert es also, wenn viele Frauen tatsächlich genau wie Schneewittchens böse Stiefmutter den Tag mit einem überkritischen Blick in den Spiegel beginnen und die damit verbundene Erkenntnis der eigenen Imperfektion wiederum einige von ihnen in eine tiefe Krise stürzt? Die Balance zwischen Selbstakzeptanz und Perfektionsanspruch oder Selbstverbesserungstechniken und Körperschemastörung zu halten ist bisweilen schwierig; nicht umsonst leiden so viele Frauen unter Esstörungen und Minderwertigkeitskomplexen.
Im Zeitalter des Photoshop-Schneewittchens hat man als böse Königin sowieso von vorneherein verloren: Mit dem perfekten Bild der Anderen kann kaum jemand mithalten. Irgendein Makel wird sich immer finden, der die reale Frau von den quasi-fiktiven Schönheiten der Medien unterscheidet, deren ikonographische Perfektion andererseits mit jedem Jahr, jeder zusätzlichen Makeup-Schicht, jeder OP und jeder Botoxspritze bröckelt, bis sich das Schneewittchen schließlich selbst als böse Stiefmutter entpuppt. Das Phantasma der natürlichen Schönheit zerfällt in seine künstlichen Bestandteile, nur um gleichzeitig umso fanatischer behauptet zu werden.
Im Zeitalter des Photoshop-Schneewittchens hat man als böse Königin sowieso von vorneherein verloren: Mit dem perfekten Bild der Anderen kann kaum jemand mithalten. Irgendein Makel wird sich immer finden, der die reale Frau von den quasi-fiktiven Schönheiten der Medien unterscheidet, deren ikonographische Perfektion andererseits mit jedem Jahr, jeder zusätzlichen Makeup-Schicht, jeder OP und jeder Botoxspritze bröckelt, bis sich das Schneewittchen schließlich selbst als böse Stiefmutter entpuppt. Das Phantasma der natürlichen Schönheit zerfällt in seine künstlichen Bestandteile, nur um gleichzeitig umso fanatischer behauptet zu werden.
Dabei ist es langsam höchste Zeit, dem Märchenquatsch ein Ende zu bereiten und den Teufelskreis zu durchbrechen: Frauen mögen – alle auf ihre Weise – schön und attraktiv sein, aber wir sollten nicht ewig darauf reduziert werden. Warum können wir zur Abwechslung nicht mal die Jäger, Prinzen oder Zwerge in der Geschichte sein?!
Das "Original" zum Nachlesen - Gebrüder Grimm: Schneewittchen
Bei der Gelegenheit, weil es gerade paßt, noch ein Link
zu einem Blogbeitrag über Frauenfiguren in Fernsehserien:
denkwerkstatt: Fernsehen. Mein persönlicher TV-Frust
Bei der Gelegenheit, weil es gerade paßt, noch ein Link
zu einem Blogbeitrag über Frauenfiguren in Fernsehserien:
denkwerkstatt: Fernsehen. Mein persönlicher TV-Frust
Der Trailer von Snow White and the Huntsman
Snow, Glass, Apples
Eine etwas ungewöhnliche Version der Geschichte,
in der Schneewittchen eine Vampirin und ihre Stiefmutter die Heldin ist.
Geschrieben von seiner Großartigkeit Neil Gaiman.
in der Schneewittchen eine Vampirin und ihre Stiefmutter die Heldin ist.
Geschrieben von seiner Großartigkeit Neil Gaiman.
part one, read by Bebe Neuwirth and the Seeing Ear Theater.
Edit: Political Correctness wäre aber auch was anderes...
Edit2: Öööhm. Kinky. Oder besser: disturbing.
Triggerwarning vgl. Plot / Wikipedia.
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Comments:
- george
- george
- george
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