Als ich vor ca. fünf Jahren entdeckte, daß das Unterwäsche-Angebot in Großbritannien deutlich besser ist als hier, war ich nicht nur von der Auswahl begeistert sondern auch von den Preisen. Für um die 20£ bekam man schon einen BH im Sale, manchmal sogar für weniger. (Meine ersten BHs lagen mit 36FF/G noch deutlich mehr im Mainstream als meine momentane 32J)
Geht man in Deutschland in einen Unterwäscheladen liegt der Preis für einen BH locker bei 60€ und darüber. Als Grundausstattung für eine neu gefittete Frau würde ich minimal kalkulieren:
Drei gut sitzende Alltags-BHs, wenn möglich unterschiedliche Modelle, um eine bessere Bequemlichkeit zu gewährleisten (wie Schuhe sollte man BHs zwischendurch mal wechseln, damit die Belastung nicht immer an der gleichen Stelle ist. Außerdem muß man sie ja auch mal waschen…), pro Stück zwischen 50 und 70€ = 150 - 210€, ein Sport-BH à 50-60€ und ein Badeanzug/Bikini für ca. 80€
Das macht zusammen zwischen 280€ und 350€. Ein stolzer Preis für eine absolute Minimalausstattung finde ich.
Eine Überschlagsrechnung von britischen Preisen läßt mich bei Standard-BHs à 30£, einem Sport-BH für 35£ und einem Bikini für 60£ nur auf einen Minimalpreis von 215€ kommen. Das ist immer noch saftig, aber immerhin mehr als 60€ weniger als der ‘deutsche’ Preis.
Warum ich hier so rumrechne? Weil ich finde, daß passende Unterwäsche keine Luxusfrage sein sollte. Klar sind das Summen, die viele Frauen zu zahlen bereit sind, die viele Frauen vielleicht auch einfach so für was anderes ausgeben würden. Es gibt aber genug sozial schwache Familien oder auch Einzelpersonen, die sich das so einfach nicht leisten können. Und ich meine damit nicht unbedingt die üblicherweise als Paradebeispiele genannten Studentinnen. Vergleichsweise zu Schülerinnen, Azubis, alleinerziehenden Müttern mit geringem Einkommen, überhaupt Familien aus prekären Verhältnissen und natürlich ALGII-Empfängerinnen sind Studis finanziell meist ganz gut gestellt. (Sonst könnten sie sich, so traurig das ist, das Studieren auch einfach nicht leisten.)
Die weit verbreitete Idee ist, daß man BHs für nen Zehner vom Grabbeltisch kaufen kann und 25, 30€ sind schon das Maximale der Gefühle. Alles darüber sind ‘sündhaft teure Dessous’, die selbstverständlich ein ‘Hauch von Nichts’ zu sein haben. Sowas schmachtet man in Hochglanz-Frauenzeitschriften ebenso an wie Taschen von Chanel oder ein Kleid von Prada.
Mit der Realität hat das wenig zu tun – die Wäsche vom Kaffeeröster, Versandhaus oder der Textilkette des Vertrauens ist zwar günstig, aber die Größenauswahl ist klein, die Passform oft nur so lala und häufig ist auch die Qualität nicht besonders gut. (Im letzten Jahr habe ich ganz schön viele Unterbrustbänder gesehen, die eher die Konsistenz von Kaugummi hatten als die eines stützenden Kleidungsstücks.)
Für Frauen, die ‘exotischere’ Größen brauchen und das ist typischerweise schon recht schnell der Fall, denn meist gibt es ja nur 75-85ABCD, sind die niedrigpreisigen Stücke gar keine Option. Entsprechend ist auch die Idee, bei BHs könnte es sich um einen Luxusartikel handeln, der unter Mode oder Körperschmuck läuft, ausgesprochen lächerlich.
BHs sind in erster Linie Funktionskleidungsstücke und zwar derart daß man sie vielleicht am ehesten noch mit Schuhen vergleichen kann. Und schon dieser Vergleich hinkt, weil zwar Füsse auch sehr unterschiedlich geformt sind und oftmals billige Schuhe nicht ausreichend Support geben, aber im Vergleich zu der Vielzahl von BH-Größen, die man für ein vernünftiges Fitting braucht, wäre auch eine Schuhsortiment in fünf Weiten pro Größe zahlenmäßig noch nicht vergleichbar…
Na, ich schweife ab. Worauf ich hinaus wollte ich die Problematik, daß passende, qualitativ hochwertige BHs de facto ein Luxusprodukt sind und diese Fehlinterpretation was ‘Dessous’ in der Regel sein sollen durch eine gesellschaftliche Reduktion von Frauen auf Modepüppchen, deren Lebenszweck es ist sich für Männer aufzuhübschen, auch immer noch reproduziert wird.
Ein BH soll ganz profan die Brust stützen, Bewegungsfreiheit ermöglichen und Rücken und Schultern entlasten. Das heißt nicht, daß man nicht auch viel Geld für einen Hauch von Nichts bezahlen kann oder soll. Wer Lust auf ‘schöne Wäsche’ hat und es sich leisten kann, kann sich ja welche kaufen, so wie man auch Sneaker oder High Heels oder sonstwas sammelt.
Der springende Punkt wäre aber IMO eine Anerkennung der Problematik von passender Wäsche und niedrigem Einkommen, also bspw. die Einrichtung eines staatlichen Topfs aus dem man einen Zuschuß beantragen kann, überhaupt ein stärkeres Bewußtsein für die Funktionalität von Unterwäsche und eine bessere Berücksichtigung des objektiv vorhandenen Bedarfs.
Je länger ich mir angucke, wie viele Frauen sich mit schlecht sitzender Unterwäsche herumquälen und statt dem Markt, unqualifizierten Verkäuferinnen, eine misogynen Stimmung in der Gesellschaft usw. die Schuld daran zu geben, diese ständig nur bei sich selber und in der Fehlerhaftigkeit ihres eigenen Körpers suchen, desto wütender werde ich.
Die Sache mit der falschen BH-Größe stellt sich so als ein wirklich grundlegendes feministisches Alltragsproblem dar, in dem sich widerspiegelt wie marginalisiert die Bedürfnisse von Frauen in unserer Gesellschaft doch eigentlich sind und wie stark sich die Wahrnehmung von Frauenkörpern auf Attraktivität und Schönheitsidealen fokussiert.
So, Rant Ende.
(Sorry, ist mal wieder ein wenig unausgegoren, die ganze Sache, ich hab das jetzt einfach so runtergetippt…)
Yoda Hulk-Meme zur Untermalung meiner Stimmung... |
1 comment
Hallo, ein wirklich toller Artikel, der es absolut auf den Punkt bringt. Eine "normale" Frau sollte keine Unsummen für tolle und gut sitzende Unterwäsche ausgeben müssen - schließlich kann ein falsch sitzender BH Rückenprobleme verursachen, das wissen aber die meisten Frauen leider nicht.
Viele Grüße und weiter so!
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