In der Regel werden zur Bestimmung einer BH-Größe zwei Meßwerte gefordert: einmal soll unter der Brust gemessen werden, indem man das Maßband relativ straff zieht, und dann noch einmal locker an der umfangreichsten Stelle über der Brust (im BH).
Theoretisch setzt sich also jede BH-Größe aus zwei Faktoren zusammen: der Unterbrustbandweite (also dem Brustkorbumfang) und der Körbchengröße (dem Volumen der Brust). Die Idee dabei ist, daß man die Bandweite direkt 1:1 vom Brustkorbumfang ablesen kann, d.h. 75cm Umfang = 75 UBB, und daß die Körbchengröße sich dann aus der Differenz zwischen (Über-)Brustumfang und Unterbrustumfang ergibt, z.B. 94cm – 75cm = D-Körbchen.
Das ist auch der Grund, weshalb eine Körbchengröße nur in Verbindung mit dem Unterbrustband aussagekräftig ist: eine 65D ist beispielsweise drei Größen kleiner als eine 80D (sowohl im Cup als auch im Unterbrustband!).
Auf dieser Form der “Berechnung” aus zwei Werten basieren die meisten Tabellen und Größenrechner, die man im Netz so findet. Wenn es so einfach wäre, wäre ja alles prima, aber: [Spoiler] so einfach isses halt nicht.
Wenn man genauer hinsieht, dann wird es schon theoretisch schwierig,
wenn die Zahlen nicht so glatt sind – welche BH-Größe wäre nun bei 73/95
die richtige? Und welche bei 77/93? Und praktisch blamiert sich diese
“Berechnung” meistens völlig. So müßte ich z.B. soetwas wie eine
britische 36 (80) FF tragen oder eine europäische 85G. Tatsächlich
brauche ich aber eine 32 (70)J!
Im
folgenden versuche ich mich an einer Erklärung, warum das so nicht
funktioniert. Wem das jetzt zuviel theoretisches Rumgelaber wird >> hier geht's zum Fazit
Die Problematik mit dem Messen 'an sich'
Problematik No 0:
Ganz unabhängig vom Messen gibt es kein für alle BHs einheitliches Größensystem, auch wenn Maßtabellen etwas anderes suggerieren. Am konsistentesten hat sich bisher das von den meisten britischen Marken verwendete System erwiesen, d.h. hier fallen BHs verschiedener Marken tatsächlich einigermaßen gleich aus, so daß sie zum Bra Fitting deutlich besser taugen als die sog. "europäischen Marken". Das schon mal vorneweg.
Problematik No 1 ist das Unterbrustband:
Hier stellt sich ziemlich schnell heraus, daß ein 75er Band für einen 75er Brustkorbumfang in der überwältigenden Mehrzahl aller Fälle a) bereits im Ruhezustand zu weit und b) auch noch zusätzlich elastisch ist. Die unterstellte Gleichsetzung von Meßwert und Bandweite funktioniert schon mal nicht.
Problematik No 2 ist der Brustumfang:
Eigentlich liegt es schon auf der Hand, daß aus einem Umfang ein Volumen bestimmen zu wollen irgendwie schwierig sein muß. Ein Mensch ist ja keine geometrische Figur. Nyad hat dazu in der Anfangsphase von drüber & drunter mal einen Beitrag verfaßt, der ganz gut illustriert, wo die Probleme liegen:
Warum zwei Maße nicht ausreichen
Man sieht daran schon, daß die Meßergebnisse unterschiedlich zu gewichten sind: die Volumenbestimmung ist deutlich problematischer als das Ermessen des Unterbrustbandes – das eine ist ein theoretisches Problem, das andere eher ein praktisches; d.h. während die Korrelation zwischen Brustumfang und benötigtem Körbchenvolumen und dann noch sehr stark unterschiedlich ausfallenden Cups als Laie schlecht herzustellen ist, kann man bei der Bandwahl relativ leicht mit einbeziehen, daß BHs weiter ausfallen. Dazu muß man keine größeren theoretischen Überlegungen anstellen. Ein Band dehnt sich in der Regel um die 10, 15 Zentimeter, d.h. wenn man herkömmlich 75cm Unterbrustumfang mißt, kann man je nach Brustgröße auf jeden Fall ein 70er oder ein 65er Unterbrustband probieren. (Achtung: das bezieht sich jetzt nicht auf eine Meßung nach BF-Standard aka “so eng wie möglich”)
Zum Vermessenwerden im Fachgeschäft
- ein Qualitätsmerkmal für die Beratung?
Gegen das Ausmessen des Unterbrustumfangs kann man erst mal
nicht viel sagen, sofern der Meßwert nicht 1:1 übertragen wird. Allerdings sprechen da auch meine eigenen Erfahrungen gegen die Verwendung eines Maßbandes: Als
Brafitterin habe ich das mit dem Unterbrustumfang vermessen ein paarmal
versucht, allerdings fand ich es für alle Beteiligten eher unangenehm -
man muß an die Person, die man vermißt, sehr nah herangehen und um sie
herumgreifen, wobei sie entweder nur einen BH anhat oder gar keinen. Das empfand ich sehr stark als Eindringen in persönlichen Raum.
Gleichzeitig muß man auch darauf achten, daß das Maßband dort entlang
läuft wo es soll, plus, man kann gar nicht so dolle anziehen, weil man
ja einer völlig fremden Person keine Schmerzen zufügen will. Ergo muß
man vom eher locker gemessenen Ergebnis dann noch einige Zentimeter
abziehen; zu einem solchen Ergebnis kommt man in der Regel auch über
Augenmaß.
Wenn dagegen “live” (also in einem Geschäft) versucht wird, die Körbchengröße mit einem Maßband zu bestimmen, deutet das nicht unbedingt auf besonderes Know How hin. (Euphemismus) Gerade bei kleinen oder großen Brüsten ist das Volumen oft nicht ‘ermeßbar’.
Als Frau ohne (theoretischen) Brafitting-Hintergrund ist das natürlich erst mal nicht bekannt. Ganz im Gegenteil gilt das Vermessenwerden quasi als “Non Plus Ultra” des BH-Anpassens und deswegen wird man als Live-Fitterin auch ganz oft von Frauen gefragt, ob man sie vermessen könne – den Zahlen wird dabei eine geradezu magische Qualität zugesprochen, was angesichts des undurchschaubaren, ja willkürlichen Wirrwarrs von Größen auch irgendwie verständlich ist. Das Dumme ist nur, daß sich zwischen Werten und Größe kein zwingender Zusammenhang herstellen läßt; die Wahrscheinlichkeit daß die Größe eines passenden BHs einen besseren Anhaltspunkt gibt, ist deutlich höher als daß man aus Meßwerten die richtige Größe eskamotiert, ableitet.
Es ist selbstverständlich nicht völlig unmöglich – die Frage ist nur, warum man in einem BH-Geschäft das Pferd so dermaßen von hinten aufzäumen sollte: wenn es ein einigermaßen ordentliches Sortiment gibt, kann man die richtige Größe doch viel leichter durch Ausprobieren finden. Es ist ja so, daß man beim Bra Fitting mit Konfektionsgrößen arbeitet und nicht - wie die deutsche Übersetzung BH-Anpassung suggeriert - maßanfertigt. (Ich denke, daher kommt die Idee bzw. das Mißverständnis mit dem Vermessen hauptsächlich).
Interpretation der Meßwerte und Online-Beratung
Hat man kein Fachgeschäft vor Ort und ist auf eine Beratung und eine Bestellung im Internet angewiesen, sieht die Sache natürlich gleich ganz anders aus. Die Brafitterinnen bei den
Busenfreundinnen haben deswegen über die Jahre ein System ausgeklügelt, das Erfahrungen unterschiedlicher Größenbereiche mitberücksichtigt und daher ganz passable Ausgangsgrößen ergibt.
Diese Ausgangsgröße ist dabei allerdings auch nur eine Schätzung, die sich meist aufs britische Größensystem bezieht (das einzige einigermaßen einheitliche, das uns bekannt ist, siehe Bemerkung oben und vgl. auch
Lost in Translation) – ein Startpunkt von dem aus man sich zur richtigen Passform (optimale Kombination aus Größe und BH-Schnitt) vortasten kann.
Also auch bei den Busenfreundinnen wird nicht mit der Kristallkugel die einzig wahre Größe prophezeit sondern nur das gemacht, was eine Offline-Brafitterin auch tut: eine mehr oder weniger akurate Einschätzung abgeben, von der aus man dann per Trial & Error die eigentliche Suche beginnt.
Vielleicht ist es einleuchtender, mal wieder einen Schuhvergleich zu ziehen (ich liebe Schuhvergleiche!): man könnte alle Füße nach spezifischen Eigenschaften aufschlüsseln, bevor man sich ans Schuhe kaufen macht (und wer sog. “Problemfüße” hat, der*die muß das in der Regel auch tun): wie lang sind die Füße im Verhältnis zur Breite, wie hoch ist der Spann, wie dick die Fessel, wie sind die Zehen angeordnet etc. pp. Statt dessen geht man normalerweise in einen Laden (oder ist mutig und bestellt im Netz) und probiert. Mehr oder weniger unermüdlich in den üblichen Schuhgrößen (bspw. zwischen 40.5 und 39.5) bis man etwas gefunden hat, das paßt. Mit guter Beratung geht es evtl. schneller, aber ums Probieren kommt man nicht herum.
Dazu sagen müßte man vielleich auch noch, daß zur theoretischen
Problematik der Interpretation der Werte auch noch ganz banal dazu
kommt, daß es keine objektiven Standards für Meßwerte gibt. Als ich
relativ frisch bei den Busenfreundinnen
gelandet war, hab ich mich natürlich auch vermessen - und dann ein paar
Wochen später Aqua (die Gründerin und Administratorin) persönlich
getroffen und die hat meine Werte, vor allem die Unterbrustwerte, noch
mal ganz ordentlich korrigiert. > D.h. Meßtechniken sind auch erst
mal sehr individuell. Gerade wenn man selber mißt, ist es schwierig auf
alles gleichzeitig zu achten: leere Lungen, volle Lungen, daß das
Maßband gerade verläuft, an welcher Stelle man es ansetzt etc.
Also, lange Rede, kurzer Sinn:
Fazit
★ Wenn man die Möglichkeit hat, sich durch mehrere Größen durchzuprobieren ist das dem Messen immer und unbedingt vorzuziehen!
★ Wenn man bereits einen halbwegs passenden BH hat, ist es sinniger, sich durch eine Checkliste zu hangeln, um festzustellen wo die Probleme liegen (z.B. hier auf dem Blog:
Woran erkenne ich ob ein BH paßt? oder bei
Lace.de)
★ Leider sind viele Marken scheinbar nicht in der Lage, Größen zu produzieren die mit denen anderer Marken vergleichbar sind. D.h. es kann gut sein, daß man je nach Marke völlig unterschiedliche Größen braucht.
★ Wenn man zur Inspiration, zum Vergleich oder aus Neugier eine Einschätzung haben möchte, die auf Meßwerten beruht kann man sich nach der
Anleitung der Busenfreundinnen vermessen und
1. die bereits erfolgten Beratungen durchsuchen (Hier wird erklärt wie das geht: Alternative zur Erstellung eines Erstberatungsthreads)
2. einen Erstberatungsthread erstellen (Bitte nicht einfach aus Spaß, sondern nur wenn man’s ernst meint)
oder 3. die Daten in die
SizeEmApp einfüttern. (Ein recht fortgeschrittener BH-Größenrechner von Ana und Vee, zwei BraFitting-Geeks aus Kroatien, wenn ich das richtig verstanden habe. Ach ja... die internationale "Boobosphere" ist schon toll.)
So, ich hoffe, mein Geschreibsel war einigermaßen überschaubar und mein Punkt ist einigermaßen rübergekommen: Don't trust the Tape Measure!
Bra Fitting ist trotzdem kein Buch mit sieben Siegeln. Man kann es auch einfach umdrehen und feststellen, daß es viel einfacher ist, sich mit einem Passformleitfaden durchzuprobieren.
Wie steht ihr zum Messen? Seid ihr skeptisch oder eher Anhängerinnen der Zahlen?